Ungewissheit ist etwas, das die meisten Menschen schwer ertragen können. Sei es in existentiellen Kontexten wie “Was wird morgen geschehen” oder in kleinen Alltäglichkeiten wie “Kommt mein Brief, auf den ich so ungeduldig warte?”. Um sich zumindest der Illusion von Kontrolle hinzugeben, planen einige Menschen minutiös ihr ganzes Leben. Doch wie wir alle wissen, hält sowas das Schicksal nicht davon ab, uns einen Stock zwischen die Beine zu werfen. Der Grund, warum die Zukunft so schwer vorherzusagen ist, ist die Varianz, die durch tausende Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, in unserem Alltag herrscht. Im Allgemeinen wird Varianz als etwas Negatives wahrgenommen. Etwas, das wir nicht kontrollieren können. Das ist in Magic und vor allem Commander manchmal auch der Fall, doch eben nicht immer. Und darum soll es heute gehen.

Das Mana System

Es gibt sehr viele Faktoren in Magic the Gathering, die sich unserer Kontrolle entziehen. Am schmerzlichsten wird uns das bewusst, wenn wir ein Mana-Problem haben. Entweder ziehen keine oder ausschließlich Länder aus unserem Deck, sind also Mana Srewed oder Mana Flooded, wobei die meisten Leute lieber Screwed sind. Warum kann ich nicht sagen, doch diese Angst vor zu vielen Ländern hat sehr häufig zur Folge, dass sie weniger Länder in ihr Deck packen. Denn wenn weniger Länder im Deck sind, sinkt die Chance, dass ich nur noch Länder ziehe.

Viele Spiele, die sich an MtG orientiert haben, haben ein anderes Ressourcen-System. Bei Hearthstone zum Beispiel bekommt man automatisch jeden Zug ein zusätzliches Land aufs Feld. Ich muss beim Deckbau also vor allem darauf schauen, wie ich das Mana jede Runde einsetze und nicht darauf, ob ich jede Runde ein Land  spielen kann. Das nimmt an dieser Stelle Varianz aus dem Spiel und so wie ich viele Menschen verstanden habe, ist das eine gute Sache.
Yugioh  geht sogar noch einen Schritt weiter, indem es das Ressourcen-System komplett abgeschafft hat. Man kann dort, bis auf einige Ausnahmen, all seine Karten im selben Zug spielen. Das macht Karten wie Pot of Greed, die Karten ziehen, zu den mächtigsten Karten im Spiel. Es ist nicht unüblich, dass Yugioh  Spiele in den ersten Zügen enden. 

Warum spielen Leute trotzdem weiter Magic, wo ihnen die Varianz schon bei den Ressourcen zugemutet wird? Warum lassen sich so viele Menschen darauf ein, dass es immer die Chance gibt, dass man an einem Spiel nicht teilnimmt, weil die falschen Karten oben auf dem Deck liegen? Mana Screw und Mana Flood sind Konzepte, die viele andere Spiele nicht ohne Grund versuchen zu vermeiden. Denn sie erzeugen Feel Bad Momente, die Leute dazu bringen, das Spiel nicht mehr spielen zu wollen. Doch warum hält Magic an dem schon dreißig Jahre alten Konzept von Mana fest? Die Antwort darauf ist, dass Varianz Spiele besser macht. Auch und gerade,  wenn sie sich durch alle Ebenen des Spiels zieht.
 

David gegen Goliath

Wäre Magic ein Spiel, bei dem in jedem Fall die bessere Person gewinnt, dann hätte es keine Chance gegeben, dass das Spiel dreißig Jahre überlebt. Denn das hätte bedeutet, dass neue Spieler*innen jedes Spiel verlieren würden. Natürlich ist es auch in der jetzigen Version des Spiels so, dass Spieler*innen, die Magic besser beherrschen, einen Vorteil haben. Doch die Varianz, die durch das Ressourcen-System und die begrenzte Anzahl an Karten, die in einem Deck erlaubt sind, verschieben sich die Gewinnchancen. So kann es passieren, dass auch recht unerfahrene Spieler*innen gegen Profis gewinnen. Das kommt dann trotzdem nur in 4 von 100 Spielen vor, aber die Chance ist nicht Null. Und das macht einen riesigen Unterschied.

Diese Varianz ärgert viele Menschen, wenn sie zu ihren Ungunsten ausfällt. Denn manchmal hat es wenig mit Können zu tun, dass man ein Spiel gewinnt, sondern eben nur mit Glück. Doch das ist eben für alle Personen am Tisch so und gleicht sich deshalb wieder aus. Allerdings bleiben uns, wie so häufig, vor allem die Spiele im Sinn, die wir wegen der Varianz verloren haben. Doch die Spiele, die wir durch pures Glück und ein glückliches Top Deck gewonnen haben, verschwinden recht schnell wieder. Oder werden unserem überragenden Können zugeschrieben.

Diese Verschiebung in der Wahrnehmung sorgt dafür, dass Menschen immer wieder fordern, die Varianz aus Magic zu verbannen. Sei es durch eine Reform des Ressourcen-Systems oder eine Aufhebung der Karten-Limitierung. Dass die von ihnen verfluchte Varianz dafür sorgt, dass sie mehr Spiele gewinnen, als ihnen durch ihr Können “zusteht”, vergessen sie dabei völlig. Fairerweise muss man allerdings dazu sagen, dass diese Forderungen vor allem in 60 Karten-Formaten zu hören sind. Die meisten Commander-Spieler*innen wollen ein gewisses Mehr an Varianz, wieso sollten sie sonst ein 100 Karten Singleton Format spielen wollen?

Commander ist sozusagen immer das David vs Goliath Format, weil die Varianz hier so groß ist. Es ist fast egal, wie stark die Decks am Tisch sind. Jede Person hat eine Chance zu gewinnen, weil eben nicht nur die eigenen Entscheidungen dafür verantwortlich sind, sondern eben auch die Entscheidungen von drei weiteren Personen am Tisch. Das ist der Grund, warum einige Menschen Commander nicht mögen und auch der Grund, warum einige es lieben. Denn selbst wenn man dieselben vier Decks immer wieder gegeneinander spielen würde, hätte man doch keine zwei Spiele, die gleich ablaufen. 

Dazu kommt, dass es mittlerweile über 2.000 Legenden gibt, um die man ein Deck bauen kann, von den tausenden Partner Kombinationen ganz zu schweigen. Und damit haben wir dann nur eine Karte von 100 angeschaut. Denn je nachdem, wie die Personen die Prioritäten legen, kann ein Commander sehr unterschiedliche Decks anführen. Die Möglichkeiten sind natürlich nicht unendlich, doch so dicht daran, dass es für uns Spieler*innen keinen Unterschied macht. 

Fazit

Menschen haben kein gutes Gefühl, was Wahrscheinlichkeiten angeht. Wenn Emotionen ins Spiel kommen, dann leidet die Mathematik. Darum wird Varianz von vielen Menschen als etwas Negatives wahrgenommen. Doch ist es eben diese Varianz, die für die großen Momente in unserem Spiel sorgt, die Highs, denen wir immer hinterherlaufen. Sei es eine Interaktion, die man im Spiel entdeckt, weil die Gegner*innen die perfekten Karten gespielt haben. Sei es das spielentscheidende Top Deck, das aus einer sicheren Niederlage einen glorreichen Sieg macht. All das ist nur möglich, weil dem Zufall ein gewisser Raum zugestanden wird.

Ich halte mich für einen rationalen Menschen, auch wenn ich zuweilen zu emotionalen Ausbrüchen neige. Auch ich habe lange Zeit geglaubt, dass Varianz, vor allem was das Mana-System angeht, etwas Schlechtes ist, dass es zu beheben gilt. Doch mittlerweile sehe ich das anders. Auch wenn ich nur Länder sehe, oder für mich schlimmer, keine, dann weiß ich doch zu schätzen, was die Varianz mir insgesamt gibt. Ich bin bei weitem nicht gut genug, dass ich Spiele gegen deutlich bessere Spieler*innen gewinnen könnte, wenn der Zufall mir nicht hilft. Und alleine das zu wissen, lässt mich all die kleinen Nervigkeiten ertragen, die eine gewisse Unschärfe in den Wahrscheinlichkeiten mit sich bringt. Denn auch wenn ich den Münzwurf manchmal verliere, gewinne ich ihn mindestens ebenso oft.

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