Magic the Gathering gibt es schon seit 30 Jahren. Mich gibt es seit 33 Jahren. Also ist es für mich sehr schwer zu fassen, dass es dieses Spiel, dem ich sehr viel Zeit widme, irgendwann mal nicht gegeben hat. Ich habe natürlich nicht mit drei Jahren angefangen Magic zu spielen, sondern irgendwann mit zehn oder elf. Lesen hilft in diesem Hobby, das ist heute genauso wahr wie damals. Doch war das Spiel früher ein ganz anderes. Ich habe nach Mirrodin eine ziemlich lange Pause gemacht, die so ungefähr bis 2017 ging. Der Sprung, den Magic Karten in dieser Zeit vom Powerlevel gemacht haben, ist gewaltig gewesen. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Doch wenn ich meine alte Sammlung durchschaue, ist da fast nichts mehr bei, was in meine heutigen Decks passt. Power Creep ist das Wort, das genau dieses Phänomen beschreibt. Und darum soll es heute gehen.
Mein Anfang
Ich habe das erste Mal richtig Power Creep in Magic erfahren, als Mirrodin auf den Markt gekommen ist. Ich habe mir eins der Starter Decks gekauft, auf englisch heißt es Bait and Bludgeon. Es war das Dimir Affinity for Artifacts Deck und als ich es gespielt habe, war es einfach so viel besser als alles, was ich davor gesehen habe. Es war auch besser als alle Decks von meinen Freunden zu der Zeit und für mich ein Zeichen, dass Magic nicht mehr dasselbe Spiel war wie früher.
Man muss dazu sagen, dass Mirrodin das erste Set mit dem “neuen” Rand war, was uns alle schon von Anfang an sehr skeptisch gemacht hat. Dazu dann noch diese Karten, die alle nichts mehr gekostet haben und keine echten Nachteile brachten. Thoughtcast, das in 90% der Fälle für nur ein blaues Mana zwei Karten gezogen hat. Alles das war nicht so, dass ich Freude daran empfunden habe. Es war mir unangenehm, denn es fühlte sich wie Schummeln an. Der Power Creep war nicht zu übersehen und schlussendlich der Grund, warum ich mit Magic aufgehört habe.
Wenn ein 14-jähriger Junge erkennen kann, dass ein Set sehr stark ist, dann wird es Menschen, die sich hauptsächlich mit Magic beschäftigt haben, natürlich auch nicht entgehen. Mirrodin war ein Experiment mit Artefakten und dieses Experiment ist leider nicht so gut gelungen. Affinity war einfach viel zu stark, besonders wenn sie mit den Artefakt-Ländern kombiniert wurde. Es wurde, wahrscheinlich aus Versehen, das Powerlevel so hoch gesetzt, dass es sich nicht mehr gelohnt hat, in Standard etwas anderes als Affinity zu spielen.
Doch das war mir damals alles noch gar nicht so bewusst. Ich war einfach unzufrieden, dass ich ein besseres Deck einfach so kaufen konnte, ohne da Herzblut reinstecken zu müssen. Und ich mochte das Aussehen der neuen Karten nicht. Darum bin ich gegangen und erst wieder richtig zurückgekommen, als ein guter Freund von mir mich mit Commander vertraut gemacht hat. Das war 2017, 2018 habe ich mein erstes Precon gekauft und ich war schockiert, was der Power Creep mit meinem Spiel gemacht hat.
Der zweite Anfang
Mein zweiter Anlauf in Magic war ganz anders als der erste. Ich hatte Geld und ich hatte Zeit, um sie in dieses Hobby zu stecken. Außerdem gab es da Game Knights, in dem das Spiel ziemlich einfach verständlich erklärt worden ist. Ich habe alle Folgen durchgesuchtet und ich war erstaunt, was man alles in Commander machen konnte. Natürlich ist das alles etwas größer und doller für die Kamera aufgezogen und die Decks keine Decks, wie sie die meisten Menschen spielen. Alleine, wie viele OG Duals da gespielt worden sind, ist schon unglaublich.
Aber es ist natürlich sehr gut für die Show und zu dem sehr unterhaltsam. Darum habe ich mir auch wenig dabei gedacht, als ich mir die 2018 und 2019 Precons gekauft habe. Doch als ich mir die Decklisten angeschaut habe, wurde mir erst wirklich bewusst, wie sehr sich Magic verändert hat. Alles war krass und stark und hätte es so sicher früher nicht gegeben. Ich konnte nicht glauben, dass man so starke Karten gedruckt hat und hab mich sehr stark an mein Mirrodin Themendeck erinnert gefühlt.
Doch nach ein paar Spielen mit den Decks wurde mir klar, wie anders Commander ist als ein 60 Karten 1vs1 Format. Karten müssen mehr können, damit sie einen Einfluss auf das Spiel haben. Denn eigentlich waren die Precons aus 2018 und 2019 nicht besonders stark. Doch für mich, für den Kamahl, Fist of Krosa noch zu den ganz großen Beatern gehört hat, war ein Avenger of Zendikar einfach völlig übertrieben. Wie sollte man mit solchen Karten verlieren?
Doch ich wurde schnell eines Besseren belehrt, als ich angefangen habe, gegen “richtige” Commander Decks zu spielen. Diese Decks hatten Synergien, die wesentlich tiefer griffen als die Precons und ich mit den Precons keine Chance. Darum hab ich angefangen, meine eigenen Decks zu bauen und wesentlich mehr Content zu konsumieren, der sich mit dem Deckbau auseinandersetzt. Da lernte ich die richtig bescheuerten Karten kennen, die vor allem aus den neuen Commander Precons kamen. Dockside Extortionist, K’rrik, Son of Yawgmoth und wie sie alle heißen. Dazu ein paar “alte” Klassiker wie Sensei’s Divinig Top und Mana Crypt und schon wurde mir bewusst, was das Rules Commitee meint wenn sie schreiben: The format can be broken; we believe, games are more fun if you don`t.
Warum Power Creep?
Es stellt sich natürlich unweigerlich die Frage: Warum macht WotC das? Warum lässt man den Power Creep so wild grassieren? Und die Antwort ist nicht so einfach, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt. Power Creep ist etwas, das es in sehr vielen Spielen gibt und es ist etwas, das man in gewisser Weise erwartet. Man muss einen Fortschritt sehen, Karten müssen mehr können, damit sie gesehen und gespielt werden. Standard im Moment ist ziemlich langweilig, weil es keinen Power Creep gibt. Die selben Karten, die vor einem Jahr sehr gut waren, sind es noch immer. Alle Sets, die es seitdem gegeben hat, waren nicht gut genug, um zum Beispiel Fable of the Mirror-Breaker abzulösen. Man braucht also einen gewissen Power Creep, damit ein Format wie Standard auch frisch bleibt.
Dasselbe gilt auch für Formate, die keine Rotation haben. Modern ist dafür ein ganz gutes Beispiel, aber auch Legacy und Co. Hier rotieren keine Karten aus dem Pool, darum “muss” WotC, wenn sie weiter Produkte verkaufen wollen, bessere Karten drucken, die den Rest ablösen. Ob das immer eine gute Sache ist, dass können Menschen wesentlich besser beurteilen, die sich mehr mit diesen Formaten beschäftigen. Ich bekomme meist wenig gutes Feedback davon mit, aber das liegt vielleicht auch einfach an meiner Bubble.
Commander gehört auch zu diesen Formaten, nimmt allerdings eine etwas andere Nische ein. Es geht nicht in jeder Play Group darum, möglichst krasse und starke Decks zu bauen. Es geht vielmehr um das Empfinden, die Erfahrung und um das Spiel. Alle am Tisch sollen Freude haben und am Ende soll es egal sein, wer gewonnen hat. Dafür hat WotC eine ganz neue Abteilung gegründet, die sich um die Casuals kümmern soll. Es geht jetzt nicht mehr um höher, schneller, weiter, es geht um “lustig oder nicht lustig”. Doch auch hier ist die Balance nicht immer ganz einfach zu treffen. Denn die neuen Karten müssen trotzdem so stark sein, dass sie ihren Weg auch in bestehende Commander-Listen schaffen. Da wir in unserem Format Zugriff auf fast alle Karten haben, die jemals gedruckt wurden, ist das keine leichte Aufgabe. Das gilt vor allem für die Commander.
Wenn ein Commander keine Karten zieht oder Mana-Vorteil bringt, dann hat er an sich schon mal einen ziemlich schweren Stand in 2023. In den Top 10 der beliebtesten Commander der letzten beiden Jahre ziehen sechs Karten oder machen Spells günstiger. Der Rest sind Tribal Commander, die mehr Tribe Member produzieren ala Edgar Markov oder Lathril, Blade of the Elves. Dazu kommen noch OG Atraxa und Isshin, Two Heavens as One, der ein Attack-Harmonicon ist und darüber Value generiert.
Das ein Commander danach ausgesucht wird, dass er eins der beiden wichtigsten Dinge in Commander macht, ist auch natürlich. Der Commander ist die 8. Karte in der Hand, auf die man immer Zugriff hat. Wenn diese Karte Karten zieht, kommt man nie in die Situation, dass man nichts mehr machen kann. Das sind für mich persönlich die unschönsten Spiele, wenn ich einfach daneben sitze und nichts tue. Wenn mein Commander mir hilft, das zu vermeiden, bin ich sehr glücklich. Doch so wird der Pool an Möglichkeiten, die WotC hat, um neue Commander zu entwickeln, natürlich sehr viel kleiner. Mir kommt es manchmal so vor, als würden sie sich in eine Ecke manövrieren, aus der sie nicht mehr raus kommen. Denn ohne Rotation oder Banns bleiben die alten Commander. Auch die, die von Designern mittlerweile als problematisch angesehen werden. Wie zum Beispiel Yuriko, the Tiger’s Shadow.
Wo geht die Reise hin?
Commander ist ein Format, das kein richtiges Ende haben muss. Es ist insofern sehr resilient gegen die meisten Dinge, die WotC tut, als das die Spieler*innen sich darauf geeinigt haben, ihre Erwartungen an Spiele im Vorfeld zu klären. Das ist absolut einzigartig in Magic und eine sehr starke Waffe im Kampf gegen den Power Creep. Denn es bedeutet, dass man selbst mit einem Budget Deck oder einem Precon sehr viel Freude haben kann, ohne es jemals upgraden zu müssen.
Für alle anderen gibt es cEDH. Dort werden alle Karten benutzt, die stark genug sind, um in Commander einen Einfluss auf das Spiel zu haben. Ich kenne mich allerdings nicht gut genug aus, um sagen zu können, wie es um cEDH bestellt ist. Mein Eindruck ist, dass es im Moment sehr gut um das Format bestellt ist. Allerdings kann ich mich da auch täuschen, weil ich kein aktives Mitglied der Community bin. Doch wenn sich Power Creep irgendwo zeigen sollte, dann hier.
“Aber Ove, es wissen doch mittlerweile alle, dass das Format immer schneller wird. Keiner spielt mehr 2 MV Mana Rocks und ich kann einige Karten nicht mehr spielen, weil sie zu schlecht sind…” Da kann ich nur sagen: Nö, das ist leider nicht wahr. Das Format ist schneller geworden, zumindest wenn man der Command Zone Glauben schenkt. Aber das bedeutet nicht, dass man gezwungen ist, bestimmte Karten zu spielen. Das ist ja das Schöne an Commander.
Ich habe seid nunmehr einigen Monaten nur noch Decks gebaut, in denen keine Mana Rocks zu finden sind. Außerdem spiele ich (fast) immer mindestens 40 Länder. Das sorgt dafür, dass meine Decks meistens etwas langsamer sind, als hoch optimierte Commander Decks. Aber es sorgt auch dafür, dass ich ziemlich genau einschätzen kann, auf welchem Powerlevel ich mich mit meinen Decks bewege. Und darum geht es letzten Endes. Seine Decks zu kennen und ein erfolgreiches Rule 0 Gespräch führen zu können. Power Creep ist dadurch natürlich trotzdem noch ein Thema. Aber ein sehr viel kleineres, als viele Menschen zu glauben scheinen.
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