Hallo und willkommen zurück zu einer neuen Ausgabe “Volrath oder Gerrard”. In dieser Artikelserie geht es darum, dass ich mir Geschichten aus der Community anschaue und am Ende entscheide, ob die Protagonist*innen eher Volraths oder eher Gerrards sind. Dieser Artikel konnte vor allem so schnell hinter dem letzten erscheinen, weil ich eine neue Story zum besprechen bekommen habe. Davon lebt diese Serie und darum bin ich allen Menschen dankbar, die mir ihre Erlebnisse schildern. Doch kommen wir zur heutigen Geschichte. In der geht es um die Frage, ob man mit einem Precon ein Pubstomper sein kann…

Die Geschichte

Moin Ove,

ich habe bei euch im Podcast gehört, dass du deine Spiele für dieses Jahr trackst.  Das mache ich auch schon seit einiger Zeit und letztes Jahr hat sich daraus ein kleines Experiment abgeleitet, zu dem ich gerne deine Meinung hören will.
Ich habe keine feste Playgroup, sondern spiele in verschiedenen LGSs und über Spelltable. Es kommt nur sehr selten vor, dass ich mal mit denselben Menschen am Tisch sitze. Ich gebe mir große Mühe, eine vernünftige Rule 0 Diskussion zu führen und habe auch keinen Commander aus den Top 100 Commandern auf EDHREC. Doch trotzdem lag meine Win-Quote im letzten Jahr bei 61%. Als ich das gesehen habe, hab ich online nach anderen Menschen gesucht, die ebenfalls ihre Spiele tracken. Die Quoten lagen bei allen etwas höher als 25%, doch war meine bei weitem die höchste.

Zugegebenermaßen ist Reddit vielleicht nicht der beste Ort, um sich konstruktiv mit Leuten auseinanderzusetzen. Denn die Menschen, die ich gefunden habe, haben mich als Pubstomper bezeichnet und das hat mir ganz und gar nicht gefallen. Wie bereits gesagt: Ich lege Wert auf ein Gespräch vor dem Spiel und darauf, dass ich nicht das stärkste Deck am Tisch spiele. Doch vielleicht war ich darin weniger erfolgreich, als ich dachte. Es sei hier angemerkt, dass die Menschen, mit denen ich gespielt habe, sich nie über meine Decks beschwert haben. Der Begriff Pubstomper ist das erste Mal auf Reddit gefallen, doch hat mich das ganze sehr unsicher gemacht. Darum hab ich mir was ausgedacht.
Um auszuschließen, dass meine Decks doch wesentlich stärker sind, als ich dachte, habe ich für die nächsten 31 Spiele ein unverändertes Precon gespielt. Das Precon war das Exit from Exile Precon aus Battle for Baldur’s Gate und Faldorn, Dread Wolf Herald. Ich hab mir das Deck ausgesucht, weil ich gerne Spells aus dem Exil spiele und weil es sehr gut gebaut ist. Man hat immer was zu tun und mit Karten wie Jeska’s Will kann man sehr explosive Züge hinlegen. Meine Win-Quote lag nach diesen 31 Spielen bei 71%.

Ich habe nicht einmal darauf geachtet, dass ich nur gegen andere Precons spiele. Meine Einführung für mein Deck sah ungefähr so aus: “Ich spiele das Faldron Precon und ich hab da nichts dran verändert. Spielt einfach Decks, die euch Spaß machen, ich hab kein Problem damit, wenn ich das schwächste Deck am Tisch spiele.” Manchmal haben die Gegner dann auch Precons gespielt, sehr viel häufiger aber nicht. Es war auch nicht so, dass ich die Spiele dominiert habe. Es waren in der Regel sehr spannende Spiele und ich musste mich anstrengen, am Ende zu gewinnen. Doch ich habe eine Möglichkeit gefunden, die das ganze etwas einfacher gemacht hat.

In den Spielen habe ich vor allem darauf geachtet, dass ich nicht die größte Gefahr am Tisch bin. Ich habe nicht erzählt, wie lange und viel ich schon Commander gespielt habe und das das alles ein Experiment ist. Dazu hab ich versucht, in entscheidenden Zügen der Gegner noch einmal herauszustellen, dass ich keine Bedrohung für sie bin. Mein liebster Satz in dieser Zeit war: “Ich biete dir einen Deal an. Du greifst mich nicht an und dafür spiele ich weiter ein unverändertes Precon.” Das hat in der Regel für einen Lacher am Tisch gesorgt und auch funktioniert. Ich habe so mehr als einen Angriff von mir abwenden können.
Außerdem habe ich versucht, keine gefährlich aussehenden Permanents aufs Spielfeld zu  legen. Etali habe ich mehr als einmal abgeworfen, um mit Faldorn zwei Karten zu exilieren. Manchmal, wenn ich es mir erlauben konnte, habe ich sogar meinen Land Drop verpasst, damit ich nicht in den Fokus genommen werde. Nichts davon ist meinen Gegnern aufgefallen oder hat dafür gesorgt, dass sie weniger Spaß am Spiel hatten. Doch mir hat es am Ende sehr geholfen.

Ich bin meinen Ergebnissen wieder auf Reddit gegangen und wurde trotz des Precons als Pubstomper beschuldigt.Darum ist jetzt meine Frage an dich: Ist es möglich, dass ich mit meinem Precon ein Pubstomper war? Oder gibt es vielleicht noch andere Parameter als die Win-Quote, die einen Spieler zu einem Pubstomper machen?

Ich freue mich sehr darauf von dir zu lesen, freundlichen Gruß,

XXX

Der erste Eindruck

Vielen Dank für die Geschichte und ich muss sagen, dass das eine spannende Frage ist, die ich mir so noch nicht gestellt habe. Wie du schon erwähnt hast, tracke ich meine Spiele in diesem Jahr ebenfalls. Zum Zeitpunkt, zu dem ich diesen Artikel schreibe, habe ich 74 Spiele gespielt und davon 21 gewonnen. Das ergibt eine Win-Percentage von 31%. Um auf 61% zu kommen hätte ich dieses Jahr 45 Spiele gewinnen müssen und das ist eine ganze Menge. Ich erwähne die Zahlen hier vor allem deshalb, damit alle Leser*innen ein Gespür dafür bekommen, was 61% Win-Percentage wirklich bedeutet.

Bei so einer hohen Quote wäre ich auch misstrauisch geworden, ob ich im Pregame Gespräch alles richtig gemacht habe. Denn ich bin der Meinung, dass es in Casual Commander nicht darum geht, seine Quote so hoch wie möglich zu halten. Das Ziel sind die 25%, die man bei einem komplett ausgeglichenen Pod erwarten sollte. Zumindest ist das mein Ziel und einer der Gründe, warum ich meine Spiele tracke.
Doch zurück zur Geschichte. Du hast, um einen Fehler bei deiner Deck-Einschätzung auszuschließen, ein Precon gespielt. Das finde ich einen sehr vernünftigen Ansatz. Precons sind sowas wie der Maßstab, gegen den die anderen Decks gemessen werden. Sie sind der Common Ground, auf den man sich immer einigen kann, wenn man Power-Level-technisch gar nicht zueinander findet. Ich kann den Schritt also komplett nachvollziehen, auch wenn du dir eins der stärkeren Precons der letzten Jahre rausgesucht hast.

Was mich allerdings stutzig macht, ist die Art und Weise, wie du dann weiter gemacht hast. Ich bin zwar auch ein Freund davon, unter dem Radar zu fliegen. Dazu haben wir mittlerweile sogar schon zwei Folgen im Shinys Command Podcast gemacht. So wie du das ganze allerdings angegangen bist, kommt es mir ein Schritt zu krass vor. Mir stellt sich da die Frage, was du mit deinem Experiment eigentlich erreichen wolltest? Ging es dir darum zu zeigen, dass man mit einem Precon auch Spiele gewinnen kann? Oder ging es um die Frage, ob du ein Pubstomper bist?

Vielleicht ist es für die Einschätzung sinnvoll zu schauen, was ein Pubstomper eigentlich ist. Ein Pubstomper ist in der Regel jemand, der wissentlich ein stärkeres Deck an einen Tisch bringt, um seine Chancen zu gewinnen zu erhöhen. Das hast du definitiv nicht gemacht. Selbst ein starkes Precon ohne Upgrades ist an den meisten Tischen nicht das stärkste Deck. Und falls Leute wissen wollen, was auf sie zukommt, können sie sich einfach die Liste im Internet anschauen.

Doch was genau macht Pubstomping so nervig? Die Pubstomper*in verzerrt die Erwartung, die die anderen Personen an ihr Deck haben. Man erzählt entweder sehr geschönt, was das eigene Deck macht, oder man lügt wie gedruckt. Lügen ist natürlich wesentlich schlimmer, aber beide Varianten sorgen für Salz am Spieltisch. Und auch wenn du diese Verzerrungstaktik nicht benutzt hast um dein Deck falsch dar zu stellen, hast du sie für dich als Spieler*in benutzt.

Was du “unter dem Radar fliegen” nennst, kratzt meiner Meinung nach stark an der Grenze zur Manipulation. Das ist ein krasser Begriff und das ist mir auch bewusst. Aber du verzerrst durch dein Auftreten und die Informationen, die du vor und während des Spiels über dich preisgibst das BIld, dass die anderen Spieler*innen von dir haben. Und das machst du sehr bewusst, wie du ja selber schreibst. Es ist dein Ziel, dass die Leute nur dein Precon sehen und nicht die Person, die das Precon spielt. 

Das Fazit

In meinen Augen bist du der Volrath in dieser Geschichte, auch wenn es augenscheinlich keine Opfer gibt. Das liegt in meinen Augen aber zu 100% daran, dass du nicht mit denselben Menschen spielst, sondern dir immer wieder neue Tische suchst. Nein, du bist kein Pubstomper im klassischen Sinne. Denn du versuchst nicht, mit einem viel zu starken Deck deine Chancen zu erhöhen. Doch scheinen dir alle anderen Mittel recht zu sein, die das Regelwerk erlaubt oder zumindest nicht verbieten.

Commander ist ein soziales Spiel und darum gibt es neben dem Regelwerk noch den so genannten Social Contract. Diese sozialen Regeln ermöglichen es, dass Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungs-Ständen und unterschiedlich starke Decks an einem Tisch zusammen spielen können. In der Regel wird sich nicht auf das schwächste Deck am Tisch fokussiert, was aus kompetitiver Sicht nicht besonders sinnvoll ist. Doch man macht es, weil ja “alle am Tisch Spaß haben sollen”. 

Wenn jetzt eine Person mit unbekanntem Erfahrungsgrad an einem Tisch ein Precon spielt und auch noch Land Drops verpasst, sind die meisten Spieler*innen gewillt, diese Person erstmal in Frieden zu lassen. Das hat zum Teil damit zu tun, dass man seine Ressourcen lieber auf die gefährlicheren Spieler*innen am Tisch verwendet. Aber ein weiterer Aspekt ist definitiv, dass man nicht auf jemanden eintritt, der am Boden liegt. 

Deine “Taktik” reizt diesen Social Contract auf eine Weise aus, die mir persönlich sehr gegen den Strich geht. Und wie bereits gesagt, ich bin davon überzeugt, dass das in einer regulären Playgroup nicht passieren würde. Denn dort würde sehr schnell auffallen, was du für ein Spielchen treibst und das Vorschussvertrauen, das dir die Leute entgegenbringen, sehr schnell aufgebraucht sein. Und im selben Maße, wie dieses Vorschussvertrauen schwindet, würde auch deine Win-Percentage sinken.

Wenn es dir vor allem darum geht, zu schauen, was du für ein*e gute*r Spieler*in bist, dann würde ich cEDH empfehlen. Denn hier geht es vor allem um den Skill, den die einzelnen Spieler*innen mit an den Tisch bringen. Es ist der perfekte Ort um sich auszuprobieren und seine Entscheidungen in Richtung Win-Percentage zu optimieren. Entgegen der Meinung vieler Casual Spieler*innen, kann man in cEDH sein politisches Geschick mit einbringen. Und wenn dir das Powerlevel da zu hoch ist, schau ob es Commander Ligen gibt, bei denen du mitmachen kannst. Es gibt mittlerweile viele Discord-Server, die Turniere veranstalten, in denen es ums Gewinnen geht. Das wäre der richtige Ort um zu schauen, wie gut du und deine Decks performen. NIcht an random Casual Tischen, wo du Leute beeinflussen musst um zu gewinnen.
Wenn auch ihr mir eure Geschichte zukommen lassen wollt, könnt ihr mir einfach eine Mail schreiben an volrathodergerrard@gmail.com. Oder ihr schickt mit auf Twitter oder Instagram eine Nachricht. Ich freue mich sehr darauf, von euch zu hören und euch die Frage zu beantworten: “Volrath oder Gerrard?”

Kommentare

  • Leser
    Antworten

    Sehr guter Artikel! Ich vermute, der Leser der heutigen Geschichte sich ehrlich nicht darüber im Klaren war, was es bedeutet zu Pubstompen. Selbst mir wurde erst im Laufe des Lesens klar: nicht nur die Stärke des Decks ist relevant, sondern auch, wie man es vermittelt.

    Fairerweise muss ich eingestehen, dass ich auch dachte, dass der Umgang mit den Deck eben zum Skillset des Spieler gehört, inklusive Bluffs. Dass Pubstomping aber insbesondere ein Ausreizen des social contracts ist, wurde sehr gut erfasst und erklärt. Ebenso die Tatsache, dass die Situation in festen Spielgruppen ganz anders aussehen würde.

    Mir stellt sich nun aber die Frage, wo hört skillvoller Umgang mit dem Deck auf, wo beginnt Pubstomping? Wenn ich gezielt Potential zurückhalte, um es erst zu entfalten, wenn die Bedrohung durch Gegner vom Tisch ist, ist das Pubstomping oder Strategie? Das gleiche, wenn man gezielt Landdrops verpasst.

    Auszunutzen, dass insbesondere in Random Pods Spieler in Ruhe gelassen werden, die augenscheinlich zurück liegen, ist meines Erachtens ein klarer Fall. Ich würde dem Leser empfehlen, das Experiment mit festeren Spielgruppen fortzuführen und insbesondere für mehr Transparenz zu sorgen.

    • OveBoyer
      Antworten

      Vielen Dank für deine lieben Worte, es freut mich immer sehr, wenn meine Artikel gefallen.
      Es ist natürlich eine Gradwanderung bei der Frage, wo ist eine Aktion noch Bluff und wo beginnt die Täuschung. Aber wenn man sich diese Frage stellen muss, hat man meiner Meinung nach die Grenze überschritten, die ich für Casual Commander als angebracht einschätze. Die Person hat natürlich keine Regel gebrochen, die irgendwo schriftlich festgehalten wurde. Aber sie hat sich eben die ungeschriebenen Regeln von Commander so sehr zu nutze gemacht, dass ich von „ausnutzen“ sprechen würde.
      Vielleicht hat sie wirklich nicht gewusst, dass ihr Verhalten von Menschen als problematisch angesehen wird. Aber dann ist dieser Artikel und dein Tipp am Ende ja vielleicht um so wertvoller für sie 🙂

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