Magic the Gathering ist eins der komplexesten Spiele der Welt. Das Regelwerk umfasst fast 200 Seiten und um Judge zu sein, braucht man eine eigene Ausbildung. Durch diese Komplexität ist Magic eins der interessantesten Spiele und durch die vielen Karten hat es außerdem einen hohen Wiederspielwert. Doch in einem Format wie Commander ist es dadurch nicht so einfach, den Überblick zu behalten.
Denn die Komplexität steigt mit jedem Set. Es werden ständig neue Mechaniken eingeführt, die das Spiel für Standard frisch halten sollen. Doch was für ein Format gut und wichtig ist, kann für ein anderes Format überfordernd sein. Denn Commander rotiert nicht. Wir haben Zugriff auf fast alle Karten aus der langen Geschichte von Magic und sind damit immer mit allen Mechaniken gleichzeitig konfrontiert. Rechnet man dazu die mentale Last, die ein vier Spieler*innen Tisch mit sich bringt und man kann nachvollziehen, dass in Game-Play-Shows so viele “Fehler” passieren. Und das obwohl die meisten Spieler*innen in diesen Shows Veteran*innen sind. Für neue Spieler*innen wächst der Berg an Komplexität in unerreichbare Höhen und unter anderem darum soll es heute gehen.

Die gute Seite

Komplexität ist nicht von Haus aus eine schlechte Sache. Wie schon häufig geschrieben liebe ich Magic und im besonderen die Farbe Blau so sehr, weil ich mit Instant Speed auf Aktionen meiner Gegner*innen reagieren kann. Das zu regeln ist für uns Spieler*innen mit ein wenig Erfahrung mittlerweile intuitiv. Ich würde allerdings behaupten, dass es das Konzept ist, was für neue Spieler*innen am schwierigsten zu greifen ist. Und es hat sehr lange gedauert, bis WotC selbst das richtige Wording für die Regeln gefunden hat, die solche Interaktionen erlaubt.
Außerdem darf man bei all der Begeisterung für unser Format nicht vergessen, dass Commander nicht das einzige Format ist, für das WotC designt. Auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt, ist Standard noch immer ein wichtiges Format für Wizard. Und um dieses rotierende Format interessant zu halten, ist es wichtig, dass man neue Schritte wagt. Außerdem ist es eine weitere Möglichkeit, einer Plain im Multiversum Charakter zu geben. Wir sind ja aktuell zurück in New Phyrexia und da ist es natürlich unabdinglich, dass es irgendeine Form von Infect gibt.
Aber nicht nur New Phyrexia hat seine „Haus-Mechaniken“. Fast jede Plain ist für die eine oder andere Mechanik bekannt. Sei es ein Klassiker wie Landfall auf Zendika oder eine Neuheit wie Connive in Streets of New Capenna. Es ist aus Spieler*innen Perspektive sehr hilfreich einen Bezug zu einer Plain zu bekommen, wenn sich das Gameplay in jedem Set auf der Plain ähnlich anfühlt. Das ist neben den Artworks auf den Karten die beste Möglichkeit, Menschen für eine Plain zu begeistern. Gäbe es auf jeder Plain die gleichen Mechaniken würde sich vieles schnell wie ein Einheitsbrei anfühlen.

Die schlechte Seite

Im Prinzip habe ich schon gesagt, was das Hauptproblem bei der Komplexität ist. Man verliert sehr leicht den Überblick. Das Jahr 2022 war ein Jahr der Superlative in Magic. Nie gab es mehr Commander, nie gab es mehr Secret Lairs und nie gab es mehr Produkte, die sich speziell an Commander richten. Dazu wechselt WotC seit einigen Jahren bei jedem Set die Plain, sodass man in jedem Set mit neuen Mechaniken konfrontiert wird. In manchen Sets ist es in Ordnung, weil die Hauptmechanik für Commander uninteressant ist. Ich schaue hier vor allem auf Strixhaven und die Lessons oder nach Kaldheim und Boast

Doch dann gibt es Sets wie Streets of New Capenna in denen jede Gangster Familie eine eigene Mechanik hat. Oder nach Innistrad: Midnight Hunt, wo die Day-Night-Mechanik eingeführt wurde. Gerade Day-Night ist in meinen Augen ein ziemliches Ärgernis, weil es ähnlich, aber nicht genauso funktioniert, wie die Werwölfe aus den “alten” Innistrad Sets.  Und Tovolar, Dire Overlord zwingt alle, die gerne Werwölfe in Commander spielen wollen, sich mit dieser Mechanik auseinanderzusetzen. Ist Day-Night erstmal Teil eines Spiels, muss es getrackt werden, selbst wenn keine Karte im Spiel ist, die damit interagiert.

Ein größerer Rucksack

Man kann die Liste der komplizierten Mechaniken beliebig fortführen. Dungeons, Stickes, Ability Counters, Initiative, und so weiter. Alles steigert die Komplexität und außerdem die Menge an Kram, den man zu jeder Game Night mitbringen muss. Ich habe in meinem Kwain Deck genau eine Karte, die mit Initiative spielt. Diese Karte ist der White Plume Adventurer. Er enttappt Kwain in jedem Untap meiner Gegner*innen und wenn ich durch einen Dungeon gelaufen bin, dann enttappt er stattdessen alle meine Kreaturen. Das ist ein Effekt, wie es ihn in Weiß nicht so oft gibt. Es gibt noch den Drumbellower, aber das war es dann auch. Kwain in allen Zügen nutzen zu können beschleunigt mein Spiel ganz enorm. Doch muss ich für diese eine Karte diese ganze Mechanik mit ins Spiel bringen. 

Wäre die Initiative so intuitiv wie der Monarch, dann wäre das nicht so wild. Aber Leute haben große Probleme damit und auch wirklich keine Lust, sich mit dieser Mechanik auseinanderzusetzen. Zudem braucht man für die Initiative eine Karte von der Undercity, die nicht jede*r dabei hat. Denn warum sollte man sie dabei haben, wenn das eigene Deck überhaupt nicht mit der Mechanik spielt. Meine Lösung ist bis jetzt, dass ich vier Mensch-Ärger-dich-nicht-Spielsteine in vier Farben und eine große Karte der Undercity habe. Wenn ich nun den Adventurer spiele, darf sich jede*r eine Farbe aussuchen und wir laufen alle zusammen durch den Dungeon. Das funktioniert ziemlich gut und macht das Spiel interaktiver. Doch es gibt nicht immer so einen guten Workaround.
Richtig wild ist es dann bei Unfinity. Un-Sets sind schon immer Orte gewesen, in denen die Designer um Mark Rosewater alle möglichen verrückten und innovativen Mechaniken testen konnten. Das war deshalb so ein sicherer Spielplatz, weil die Karten dieser Sets in keinem Format legal gewesen sind. Man konnte sich damit beschäftigen und davon verzaubern lassen, oder es ignorieren. Doch Unfinity hat das ganze schlagartig geändert und damit die Komplexität von Commander unglaublich erhöht. 

Denn statt der gewohnten silbernen Ränder sind die neuen Unfinity Karten auch mit schwarzem Rand gedruckt worden. Denn jetzt zeigt das kleine Symbol am unteren Rand der Karte, ob sie legal ist oder nicht. Hat es die Form einer Eichel, dann ist es nicht legal, ist es ein Oval, dann darf man es spielen.  Dazu hat Unfinity sich trotzdem nicht zurückgehalten, was neue Mechaniken angeht. Es gibt Attractions, Sticker, viele Dinge, die ausgewürfelt werden und für alles eigene Regeln. Und auch damit müssen sich Commander Spieler*innen nun auseinandersetzen, ob sie nun wollen oder nicht.

Overload

Ich bin ein Spieler, der sich wahrscheinlich mehr mit Commander und Magic auseinandersetzt als 90 % aller Spieler*innen. Ich schreibe einen Blog über Commander und bin Co-Host in einem Commander Podcast. Und ich habe keine Ahnung, was Attractions sind. Ich kann mir nicht merken, wann es Night oder wann es Day wird und wann genau die Initiative triggert und ob man den Trigger vergessen kann. Und wenn ich das nicht hin bekomme, wie soll das jemand schaffen, der sich nicht zu jedem Set 20 Stunden Content anschaut oder -hört?
Meine Dame ist ein guter Gradmesser, wenn es um Casual Player geht. Sie hat in ihrem Alltag nur durch mich Kontakt mit Magic und versteht mittlerweile ziemlich gut, wie man Magic und Commander spielt. Ihr Lord Windgrace Deck beherrscht sie so, dass sie damit auch ohne Probleme gewinnen kann. Doch hat sie vor einiger Zeit zum ersten mal realisiert, dass sie MDFCs im Deck spielt. Ihr war nicht klar, dass das kleine Dreieck oben in der Ecke bedeutet, dass die Karte auch noch eine Rückseite hat. Und ich kann mir vorstellen, dass sie nicht die einzige ist, der es so gegangen ist.
Es wird alles zu viel, die Komplexität wird zu hoch und darin sehe ich ein echtes Problem. “Reading the Card explains the Card” ist ein Meme. Wenn auf der Karte allerdings mehr Wörter stehen als in einem mittellangen Roman, dann ist das ein Problem. Wenn die Karte dann auch noch zwei Seiten mit viel Text hat, kann ich alle verstehen, die diese Karte meiden. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum niemand die Deans aus Strixhaven als Commander spielt.
Commander rotiert nicht. Das ist Fluch und Segen zugleich. Der Karten Pool ist riesig und bietet unendliche Möglichkeiten. Und selbst wenn wir uns gegen gewisse Mechaniken entscheiden, heißt das nicht, dass wir sie in unseren Spielen nie zu Gesicht bekommen. Es gibt keinen Weg der Komplexität zu entfliehen und das ist glaube ich das größte Problem, das Commander derzeit hat. Leider wird sich dafür keine gute Lösung finden lassen, denn Magic lebt eben davon, dass es ständig im Wandel ist. Doch vielleicht ist es möglich, dass WotC die Komplexität in den nächsten Sets zumindest nicht noch erhöht.

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